Immer öfter kommt es zu Messerangriffen. Innenministerin Nancy Faeser möchte daher das Waffenrecht verschärfen. Doch hat die SPD-Politikerin durch ihr Nichtstun die Situation erst ermöglicht?
Ein Gastbeitrag von Lars Winkelsdorf
Angesichts immer häufigerer Messerangriffe hatte der Bundesrat am 14. Juni eine Initiative zu einer Verschärfung des Waffenrechts beschlossen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will nun bald Gesetzesvorschläge vorlegen, wie eine Sprecherin des Ministeriums gegenüber dem Tagesspiegel bekundete: Verbessert werde „der Schutz der Bevölkerung vor Missbrauch von Waffen und Messer“.
Die Innenministerkonferenz hatte einen solchen Schutz der Bevölkerung bereits am 16. Juni 2023 beschlossen, allerdings ohne „gesetzgeberischen Handlungsbedarf“, wie ihn das Ministerium nun bekundet: Über eine Änderung der seit März 2012 unveränderten Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz sollten bei der Zuverlässigkeit von Waffenbesitzern weitreichende Änderungen erfolgen, die eine Entwaffnung von Extremisten erleichtern sollte.
Verbote werden in der Praxis kaum ausgesprochen
Und zusätzlich sollten insgesamt die „Waffenverbote im Einzelfall“ neu geregelt werden. Olaf März vom Bund Deutscher Kriminalbeamter erklärt dazu: „Im Prinzip kann man über diese individuellen Verbote schon heute Straftäter und Extremisten zu ihrer persönlichen Waffenverbotszone erklären. Die dürfen dann faktisch keine Schreckschusswaffen, Messer oder Schlagstöcke mehr kaufen und sogar die Schießbude auf dem Jahrmarkt ist ihnen verboten.“
Insider bezeichnen diese Regelung daher auch als das schärfste Schwert im 2003 beschlossenen Waffengesetz. Doch obwohl diese Möglichkeit besteht, gefährliche Personen von Waffen fernzuhalten, wird sie bundesweit bislang kaum angewendet.
In Berlin etwa werden jährlich nur etwa 150 solcher Waffenverbote verhängt – bei gleichzeitig etwas über 600 Gewaltstraftaten alleine von Rechtsextremen. Gemessen an den Zahlen der Körperverletzungen, Vergewaltigungen und Bedrohungen in den Kriminalstatistiken eine lächerlich geringe Bilanz.
1574
Waffenverbote gab es in Niedersachsen innerhalb von zehn Jahren (Stand 2022). Bei 16.260 Körperverletzungen allein in 2022 ist das nicht allzu viel.
In Bremen wurden für das Jahr 2021 ganze 21 solcher Verbote ausgesprochen, gegenüber 125 festgestellten Vergewaltigungen im gleichen Zeitraum heißt das: Nur knapp jedem sechsten Sexualstraftäter wurde es untersagt, sich gefährliche Waffen ungehindert zu beschaffen.
Und in Niedersachsen wurden Stand 2022 innerhalb von zehn Jahren insgesamt 1574 Waffenverbote wirksam, bei für das Jahr 2022 insgesamt 16.260 Körperverletzungsdelikten im Bundesland verblüffend wenig.
Es braucht gar kein neues Gesetz
Ursprünglich war bei der Innenministerkonferenz beschlossen worden, dass unter Führung des Bundesinnenministeriums (BMI) die Verwaltungsvorschrift „WaffVwV“ geändert und die Ergebnisse der Arbeitsgruppen dann schon im Herbst 2023 vorgelegt werden sollten.
Eine verhältnismäßig schnelle und effektive Lösung, wie Rechtsanwalt Christian Teppe erklärt: „Das Gesetz ermächtigt das Innenministerium bereits, solche Regelungen mit Zustimmung des Bundesrates jederzeit zu erlassen. Das heißt, dass es gar kein Gesetzgebungsverfahren braucht, um Extremisten und Straftäter zu entwaffnen.“
Doch bis zur letzten Innenministerkonferenz im vergangenen Juni geschah nichts. Parlamentarische Nachfragen zeigen, dass das Projekt regelrecht aufs Eis gelegt wurde, um die Gesetzesverschärfung voranbringen zu können.
Erst dann, so die Absicht der Innenministerin, soll die Arbeit an den Verwaltungsvorschriften fortgesetzt werden: „Es ist beabsichtigt, die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz (WaffVwV) nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens zur Änderung des Waffenrechts vollständig zu überarbeiten.“
Hat Faeser durch Nichtstun Waffengewalt ermöglicht?
Für den Abgeordneten Marc Henrichmann, Berichterstatter der CDU im Bundestag zum Waffenrecht, ein Skandal: „Das bedeutet faktisch, dass die Ministerin seit Monaten die Bewaffnung von Schwerstkriminellen und Extremisten durch bewusstes Nichtstun ermöglicht hat, um ein Gesetzesprojekt betreiben zu können, obwohl es das gar nicht braucht.“
„Häufig sind Täter bereits mit anderen Delikten in Erscheinung getreten, bevor sie zum Messer greifen.“
Marc Henrichmann, Berichterstatter der CDU im Bundestag zum Waffenrecht
Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel von Magdeburg: Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) wollte die Arbeit zur Verwaltungsvorschrift nicht abwarten und setzte für das Land Sachsen-Anhalt bereits eine eigene Vorschrift in Kraft, wo sogar bei Diebstählen die Waffenbehörden informiert werden sollen und Waffenverbote verhängen.
Marc Henrichmann verweist auf den Praxisbezug dabei: „Häufig sind die Täter bereits mit anderen Delikten in Erscheinung getreten, bevor sie zum Messer greifen. Mit Individualverboten kann wirkungsvoll eingegriffen werden. Werden solche Personen mit Waffen angetroffen, drohen bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Es ist nicht mehr nachvollziehbar, weswegen die Ministerin aktuell den Tätern ihre Waffen belässt.“
„Ich könnte jetzt direkt ein Messer oder ein Schwert kaufen, wenn ich das wollte.“
Harry M., Verurteilter wegen Unterstützung des Islamischen Staates
Drei Jahre Freiheitsstrafe im Gegensatz zu den von Bundesinnenministerin Faeser nun geforderten Verboten: Diese sind nach dem Waffengesetz bei Verstößen lediglich als Ordnungswidrigkeiten sanktioniert, also wie Falschparken oder das Überqueren einer Straße bei Rot. Entsprechend drohen in solchen Fällen bestenfalls Bußgelder, üblicherweise zwischen 50 und 150 Euro.
Gefährder haben ungehinderten Zugang zu Waffen
Unverständlich ist auch, wieso die Verfassungsschutzbehörden weiterhin Erkenntnisse nicht an Waffenbehörden geben dürfen, wenn diese mit „nachrichtendienstlichen Mitteln“ gewonnen wurden.
Hier könnten schon jetzt Neonazis und Reichsbürger von allen Arten von Waffen unmittelbar ferngehalten werden, wäre ein Informationsfluss zu den Waffenbehörden gesetzlich zulässig. Doch bislang ist aus dem BMI nichts dazu zu hören, wie Bund und Länder hier die Waffenbehörden in den Kreis der berechtigten Informationsempfänger aufnehmen wollen.
Harry M., rechtskräftig verurteilt wegen Unterstützung des Islamischen Staates, gibt unumwunden zu, nach seiner Haftentlassung kein Waffenverbot erhalten zu haben: „Mir gegenüber wurde so etwas nicht ausgesprochen, ich könnte jetzt direkt ein Messer oder ein Schwert kaufen, wenn ich das wollte.“
Dabei wird Harry M. als Extremist sogar in öffentlichen Verfassungsschutzberichten namentlich genannt. Er ist inzwischen ausgestiegen und hat seinem radikalen Irrweg abgeschworen. Doch zeigen sein Fall und die recherchierten Zahlen drastisch auf, dass vermutlich auch aktive Islamisten bislang nicht an die Waffenbehörden gemeldet wurden, um Waffenverbote verhängen zu können.
Noch im August 2023 legte das Bundesinnenministerium eine „Evaluierung“ des Waffenrechts vor. Dabei wurden die Waffenbehörden der Länder angefragt zu der Umsetzung der Waffenrechtsänderung 2020. Eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz zeigte auf, dass in den Akten zu den zeitgleich bereits in Planung befindlichen Änderungen der Verwaltungsvorschrift keine Fragen gestellt wurden.
Was auch nicht verwundert, denn zu dieser Zeit arbeiteten ursprünglich die Arbeitsgruppen an der Verwaltungsvorschrift und sollten hiervon getrennt eine Lösung erarbeiten. Dass im BMI jedoch bewusst entschieden wurde, trotz der steigenden Zahl der Messertaten über Monate nichts dagegen zu unternehmen, wurde vom Bundesinnenministerium bislang nicht kommuniziert.