OVG Lüneburg kritisiert OVG Münster und bestätigt den BZL
Das Tresorschlüssel-Urteil des OVG Münster und vor allem die daraufhin in Nordrhein-Westfalen implementierten neuen Aufbewahrungsvorschriften haben bundesweit für Aufregung gesorgt (siehe unsere Beiträge zu dem Thema Tresorschlüssel). Der BZL hatte seit jeher bemängelt, dass das Münsteraner Urteil bzw. die darin gestellten Anforderungen an die Aufbewahrung des Tresorschlüssels zu weit gehen und die Judikative damit in Bereiche eingriffe, die nach dem Prinzip der Gewaltenteilung ausschließlich der Legislative zustehen.
Diese Ansicht hat nun das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in einem Urteil eindrucksvoll bestätigt, was für die grundsätzliche Diskussion zum Thema Tresorschlüssel, gerade im Vorgriff auf die anstehende Innenministerkonferenz am 19. Juni, wichtige neue Aspekte liefert.
Der Sachverhalt: Das OVG Lüneburg hatte in einem Berufungsverfahren darüber zu befinden, ob die Einziehung von Jagdschein und waffenrechtlichen Erlaubnissen eines Jägers durch den Landkreis Cloppenburg rechtmäßig war. Dagegen hatte der Jäger vor dem Verwaltungsgericht geklagt und in erster Instanz Recht bekommen, wogegen der Landkreis wiederum Berufung vor dem OVG eingelegt hatte.
Die Einziehung des Jagdscheins und der waffenrechtlichen Erlaubnisse durch die Behörde waren erfolgt, nachdem die Tochter des Jägers mit dem Revolver des Jägers einen Selbstmordversuch unternommen hatte. Die Ermittlungen ergaben, dass sie das Versteck der Schlüssel für Jagdzimmer, Tresor und Munitionsschrank – eine an der Rückwand eines Schreibtisches deponierte Tabakdose – kannte, und so den Revolver samt Munition entwenden konnte.
Im nun vorliegenden Urteil gab das OVG Lüneburg zwar der Behörde Recht und bestätigte letztinstanzlich die Einziehung von Jagdschein und waffenrechtlichen Erlaubnissen. Für das Gericht war mit der nicht ordnungsgemäß gelagerte Munition ein festgestellter Aufbewahrungsverstoß ausschlaggebend. Zudem erachtete es das Versteck der Schlüssel als nicht ausreichend, da der Jäger diesen Ort wohl über Jahrzehnte genutzt hatte und somit nicht wirksam verhindert wurde, dass Familienangehörige davon wüssten. Daran hätte auch die Tatsache nichts geändert, dass der Schreibtisch einen Meter von der Wand gerückt werden musste, um an besagte Tabakdose zu gelangen. Das Gericht machte damit aber deutlich, dass auch ein (sicheres) Versteck prinzipiell zulässig ist.
Verbot von Schlüsseltresoren ist Sache des Gesetzgebers
Wenngleich das Urteil selbst zu Ungunsten des Jägers ausfiel, so liefern doch die Urteilsgründe der Lüneburger Richter jede Menge Argumente, die nicht nur das Urteil des OVG Münster, sondern auch die daraus abgeleiteten Maßnahmen des Innenministeriums von Nordrhein-Westfalen in einem neuen Licht erscheinen lassen. Denn das OVG Lüneburg stellte grundsätzlich Folgendes fest (Zitat): „Der Wortlaut der Vorschriften gibt daher nicht her, dass Schlüssel zu Waffen- und Munitionsschränken in Behältnissen aufbewahrt werden müssen, die ihrerseits den in § 13 Abs. 1 und 2 AWaffV enthaltenen technischen Sicherheitsstandards entsprechen. Die Argumentation des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urt. v. 30.8.2023 – 20 A 2384/20 – juris Rn. 64), ein erleichterter Zugriff auf Schlüssel zu deren Behältnissen führe dazu, dass das gesamte Sicherheitsniveau der Verwahrung auf dasjenige sinke, auf dem die Schlüssel (als ‚schwächstes Glied der Kette‘) verwahrt würden, vermag den Senat auch insofern nicht vollständig zu überzeugen, weil dann auch der Schlüssel zu dem Behältnis, in dem sich der Schlüssel zum Waffenschrank befindet, wiederum in einem den Anforderungen nach § 13 AWaffV entsprechenden Behältnis aufbewahrt werden müsste. Letztlich liefe die so entstehende ‚Endloskette‘ auf ein Verbot von mit Schlüsseln zu verschließenden Waffen- und Munitionsschränken hinaus. Die Einführung eines derartigen – auf Grundlage der aktuellen Vorschriften bisher, wie ausgeführt, nicht bestehenden – Verbots fällt aus Sicht des Senats in den Zuständigkeitsbereich des Gesetz- oder Verordnungsgebers.“
Und weiter: „Zwar mögen die für die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen streitenden systematischen Erwägungen von nennenswertem Gewicht sein. Nach Auffassung des Senats trägt indes der gegenwärtige Wortlaut der maßgeblichen Vorschriften, der die Grenze jeder Auslegungsmöglichkeiten beschreibt, das Auslegungsergebnis nicht hinreichend. § 36 Abs. 1 WaffG verpflichtet – wie bereits unter B.I.2.c) angeführt – dazu, die „erforderlichen Vorkehrungen“ zu treffen. Dieser Wortlaut erlaubt und gebietet – wie ebenfalls bereits unter B.I.2.c) ausgeführt – eine Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Die Begrifflichkeit „erforderliche Vorkehrungen“ beinhaltet in zweifacher Hinsicht einen unbestimmten Rechtsbegriff: Vorkehrungen können der Art nach alles Mögliche sein. Auch dem Maß nach bleibt auf dieser abstrakt-generellen Ebene offen, was im konkreten Einzelfall erforderlich ist.“
Damit bestätigen die Lüneburger Richter unmissverständlich die Kritik des BZL, dass es nicht Aufgabe der Judikative, sprich der Gerichte, sein kann und darf, bestehende Gesetze ad absurdum zu führen und gesetzesähnliche oder gar gesetzesgleiche Regelungen zu schaffen, deren Erlass ausschließlich der Legislative zusteht.
Wichtiges Signal für die Innenministerkonferenz
Mindestens ebenso relevant ist die Tatsache, dass der Richterspruch aus Lüneburg sämtlichen anderen 15 Bundesländern Recht gibt, welche auf das Münsteraner Urteil – anders als NRW – nicht mit hektischem Anordnungs-Aktionismus reagiert hatten, sondern im Rahmen der aktuellen Gesetzes- und Regelungslage die davor bestehende Verwaltungspraxis zu Aufbewahrungskontrollen bei Legalwaffenbesitzern beibehielten. Sofern das Thema der Tresorschlüsselverwahrung auf die Agenda der am 19. Juni in Potsdam stattfindenden Innenministerkonferenz kommen sollte, haben sie alle eine dem OVG Münster gleichwertige richterliche Bestätigung und somit eine mehr als belastbare Argumentationsgrundlage, dass ihr Weg richtig und der Alleingang aus NRW nicht nur diskutabel, sondern definitiv nicht mehrheitsfähig ist.
Der BZL fordert daher die Innenminister der Länder auf, ihrer Rolle innerhalb der Gewaltenteilung zu entsprechen und sich klar zu den Regelungen des bestehenden Waffengesetzes, seiner Verwaltungsvorschriften und vor allem deren bundeseinheitlicher Gültigkeit zu bekennen. Im Umkehrschluss heißt das auch, dass das Land Nordrhein-Westfalen – wie vom BZL bereits im Februar gefordert – seine diesbezüglichen Anordnungen zurücknehmen und auf den Boden rechtskonformer Verwaltungspraxis zurückkehren muss.